See and Avoid war gestern – die Zukunft heißt e-Conspicuity
In der fliegerischen Grundausbildung ist das Prinzip „See, Sense and Avoid“ zentral. Pilotinnen und Piloten müssen den Luftraum aktiv beobachten, Flugbahnen anderer erkennen und potenzielle Konflikte frühzeitig durch Ausweichmanöver vermeiden. Dieses Prinzip stößt jedoch zunehmend an seine Grenzen – insbesondere in einem so komplexen und dicht genutzten Luftraum wie dem der Schweiz.
Moderne Technologien bieten hier die Chance, den Luftraum elektronisch transparent zu machen. Dieses Konzept wird unter dem Begriff „e-Conspicuity“ (elektronische Sichtbarkeit) zusammengefasst. Die Idee: Luftfahrzeuge senden kontinuierlich Positionsdaten aus, die von anderen Luftfahrzeugen und Bodenstationen empfangen und dargestellt werden können. Damit sollen klassische Sichtverfahren um elektronische Hilfsmittel ergänzt und potenziell sicherer gemacht werden.
Ein anspruchsvoller Luftraum erfordert neue Lösungen
Die geografischen und strukturellen Bedingungen in der Schweiz machen diese Entwicklung besonders dringlich:
- Rund 60 % der Landesfläche bestehen aus Alpen- und Jura-Gebirge, mit engen Tälern und komplexer Meteorologie.
- Der Schweizer Luftraum wird von zahlreichen, sehr unterschiedlichen Nutzergruppen beansprucht: Linienflugzeuge, Privatjets, Helikopter, Segel- und Motorflugzeuge, Gleitschirme, Ballone, Fallschirmspringer und zunehmend Drohnen.
- Die Anzahl der gemeldeten Luftraumverletzungen und Beinahezusammenstöße hat 2024 einen Rekordwert erreicht.
Die Konsequenz: Klassische Mittel der Verkehrsvermeidung stoßen an ihre Grenzen – elektronische Unterstützung wird unverzichtbar.
Bisherige Technikvielfalt – aber kaum Interoperabilität
Zahlreiche Systeme zur elektronischen Sichtbarkeit sind heute bereits im Einsatz:
- Transponder Mode S / SSR (Sekundärradarantwortgerät mit 1090 MHz)
- ADS-B (Automatic Dependent Surveillance – Broadcast)
- FLARM / PowerFLARM (v. a. in Segel- und Motorflugzeugen verbreitet)
- FANET / FANET+ (besonders für leichte, unbemannte Systeme)
- Smartphone-basierte Lösungen wie SafeSky oder SkyDemon Beacon Mode
Allerdings ist ein zentrales Problem: Die Systeme sind untereinander nur eingeschränkt oder gar nicht kompatibel. Was der eine Pilot sendet, kann der andere oft nicht empfangen – je nach Gerät, Antenne, Frequenz und Softwarestand.
Projekt FASST-CH: Der digitale Luftraum der Schweiz
Mit dem Projekt FASST-CH (Future Aviation Surveillance Services and Technologies in Switzerland), das 2022 vom BAZL initiiert wurde, soll dieses Problem gelöst werden. Ziel ist es, bis 2035 ein vollständig integriertes Luftraumüberwachungssystem zu etablieren, das alle Luftraumnutzer berücksichtigt – auch jene mit begrenztem Budget und geringer technischer Ausstattung.
Die Eckpunkte des Projekts:
- Echtzeit-Zugriff auf Luftraumdaten: Piloten und Flugsicherung erhalten ein gemeinsames, aktuelles Luftlagebild.
- Interoperabilität aller Systeme: Bestehende Geräte sollen künftig durch Software-Updates kompatibel gemacht werden.
- Offene Standards: ADS-B out (1090 MHz) und ADS-L (860 MHz) gelten als technische Basis.
- Erweiterung durch neue Technologien: Cloud-Dienste, VDL-Modems, Satellitennavigation und Mobilfunknetz sollen integriert werden.
Das Ziel: einheitliche Sichtbarkeit aller Luftfahrzeuge, unabhängig vom genutzten System oder Gerätetyp – sei es ein Airbus A320 oder ein Gleitschirm mit Smartphone.
Ausrüstungspflicht und Unterstützung für Halter
Das BAZL gibt klare Empfehlungen zur Ausrüstung:
- ADS-B out (1090 MHz): für zertifizierte, größere Luftfahrzeuge mit Transponderpflicht
- ADS-L (860 MHz): für tragbare oder fest eingebaute Geräte in der Allgemeinen Luftfahrt, inklusive Segel- und UL-Flugzeugen
Piloten und Halter sollen ihre Luftfahrzeuge entsprechend ausrüsten. Wo nötig, wird mit einer Sonderfinanzierung für den Luftverkehr Unterstützung geboten – insbesondere bei Maßnahmen, die der Erhöhung der Flugsicherheit dienen. Die Finanzierung erfolgt über das Schweizer Luftfahrt-Infrastrukturfonds-System (Luftfahrt-FIS), das zweckgebundene Mittel für Innovation und Sicherheit bereitstellt.
Europäische Einbettung: Wie steht es um Deutschland?
Auch andere Länder verfolgen ähnliche Ziele. In Deutschland laufen derzeit mehrere Testprojekte und Pilotvorhaben, etwa zur Integration von Drohnen in den bemannten Luftraum (U-space, DFS Droniq), zur Förderung von ADS-B out im Sichtflug oder zur Weiterentwicklung von Transpondertechnologien. Doch ein einheitliches, interoperables System für den gesamten nicht-kommerziellen Luftverkehr ist noch nicht in Sicht.
Die Schweiz könnte somit ein europäisches Modellprojekt werden – vergleichbar mit dem bereits flächendeckend eingeführten Mode-S Transpondermandat im Vereinigten Königreich, das jedoch in der GA teils auf Kritik stieß.
Fazit: Der Himmel wird digital – und sicherer
Die Schweiz treibt mit FASST-CH ein zukunftsweisendes Konzept voran: Einen Luftraum, in dem sich alle Luftfahrzeuge nicht nur sehen, sondern auch digital erkennen können. Die Grundlage dafür sind interoperable Systeme, offene Standards und klare Vorgaben für Hersteller und Halter.
Elektronische Sichtbarkeit wird künftig nicht mehr optional sein, sondern ein zentrales Sicherheitsmerkmal in der Allgemeinen Luftfahrt – besonders in komplexen Lufträumen wie den Alpen. Was heute noch als technologische Vision erscheint, wird in der Schweiz bis 2035 Realität.
Für alle, die fliegen – und für alle, die sicher ankommen wollen.
Quellverweise:
Aerotelegraph