Vertrauensverlust in die flugmedizinische Aufsicht
Die jüngsten Enthüllungen von Juristin Nina Coppik, ehemals im Referat L 6 des LBA tätig, sowie die Aussagen von Flugmediziner Dr. Steffen Grüner, haben ein Schlaglicht auf gravierende Missstände geworfen. Laut Coppik herrschen im Bereich der medizinischen Tauglichkeitsprüfung „unzumutbare Zustände“: Entscheidungen ohne ausreichende Sachverhaltsaufklärung, Gutachten durch fachfremde Personen und eine Praxis, die Untauglichkeit nicht als ultima ratio, sondern als schnelle Lösung betrachtet.
Für Piloten bedeutet dies eine existenzielle Bedrohung: Wer als untauglich erklärt wird, verliert unter Umständen nicht nur seine Lizenz, sondern auch seine berufliche Zukunft. Die Kritik lautet, dass das LBA Verfahren verschleppt, vermeidbar verkompliziert und zu selten zugunsten einer pragmatischen, risikoorientierten Auslegung entscheidet.
Angst statt Fairness: Berichte aus der Praxis
Dr. Steffen Grüner schildert konkrete Fälle, in denen die Behörde Entscheidungen traf, die weder medizinisch noch juristisch nachvollziehbar erscheinen. Dazu zählen die Verweigerung seiner eigenen Rezertifizierung als flugmedizinischer Sachverständiger wegen einer Jahre zurückliegenden Migräneepisode oder zusätzliche Untersuchungen aufgrund schlichter Datenfehler.
Auch Coppik zog Konsequenzen: Ende September legte sie ihr Amt nieder und erklärte öffentlich, dass sie die Praxis des LBA nicht mit ihrem Berufsverständnis vereinbaren könne. Stattdessen will sie künftig als Juristin Piloten unterstützen – ein Signal, das viele Betroffene als Hoffnungsschimmer, aber auch als Bankrotterklärung für die Behörde werten.
Strukturelle Defizite statt Einzelfälle
Das LBA verweist auf interne Checklisten, digitale Aktenführung und neue Kommunikationswege. Doch entscheidende Fragen bleiben offen:
- Fristenmanagement: Verfahren dauern häufig Monate, ohne dass Piloten eine klare Perspektive haben.
- Transparenz: Weder Kennzahlen zu Bearbeitungszeiten noch nachvollziehbare Entscheidungsgrundlagen werden veröffentlicht.
- Qualitätssicherung: Externe fachliche Kontrolle oder systematische Audits fehlen weitgehend.
Dies führt zu einer paradoxen Situation: Ausgerechnet die Behörde, die für Sicherheit und Vertrauen sorgen soll, wird selbst zum Unsicherheitsfaktor.
Europäischer Vergleich: Deutschland isoliert sich
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass es auch anders geht. In vielen europäischen Ländern wie Österreich oder Großbritannien können Hausärzte oder niedergelassene Flugmediziner unkompliziert über die Tauglichkeit von Privatpiloten entscheiden. Die EASA-Regularien erlauben solche vereinfachten Verfahren, etwa über das LAPL-Medical.
Deutschland hingegen gilt als Sonderfall: Hier hält das LBA an komplexen Prozessen fest, misstraut den Einschätzungen eigener AMEs (Aeromedical Examiners) und verursacht damit nicht nur Frust, sondern auch Abwanderung. Jährlich weichen Hunderte Piloten nach Österreich aus, um ihre medizinische Tauglichkeit ohne monatelange Wartezeiten und bürokratische Blockaden erneuern zu lassen.
Rolle der Verbände und politische Verantwortung
Verbände wie AOPA, DAeC und DULV haben seit Jahren auf die Missstände hingewiesen und einen runden Tisch gefordert. Eine Petition sammelte zuletzt fast 20.000 Unterschriften. Zwar gab es zeitweise Gesprächsbereitschaft im Bundesverkehrsministerium, doch nach dem Regierungswechsel ist das Thema politisch ins Abseits geraten.
Die Vereinigung Cockpit hat bereits Gespräche mit dem LBA geführt. Doch gerade die Verbände der Privatflieger fühlen sich bislang übergangen. Besonders brisant: Laut einem offenen Brief der VC sollen Anträge von Privatpiloten systematisch nachrangig bearbeitet werden – eine Praxis, die rechtlich höchst fragwürdig ist und den Eindruck einer Zwei-Klassen-Verwaltung verstärkt.
Reformdruck wächst
Auf der AERO 2025 in Friedrichshafen verkündete das LBA, die Probleme seien bald gelöst. Die Realität zeigt jedoch das Gegenteil: Arbeitsrückstände nehmen zu, Beschwerden häufen sich, und die Glaubwürdigkeit schwindet.
Die Forderungen der Verbände sind eindeutig:
- Sofortige Reform des Referats L 6
- Politische Kontrolle durch das Bundesministerium
- Mehr Transparenz und feste Fristen
- Stärkung der Rolle der Flugmediziner vor Ort
Es geht dabei nicht nur um einzelne Verfahren, sondern um das Vertrauen einer ganzen Branche in ihre Aufsichtsbehörde.
Fazit: Behörde am Scheideweg
Die Situation in der deutschen Flugmedizin ist symptomatisch für ein größeres Problem: eine Behörde, die sich in Bürokratie verliert und den Bezug zur Praxis verloren hat. Während internationale Vorbilder zeigen, dass medizinische Sicherheit auch mit vereinfachten Prozessen gewährleistet werden kann, hält das LBA an Strukturen fest, die Piloten und Flugmedizinern das Leben schwer machen.
Wenn die Bundesregierung glaubwürdig Bürokratie abbauen und die allgemeine Luftfahrt stärken will, muss sie hier ansetzen. Ohne grundlegende Reformen droht die deutsche Flugmedizin weiter an Vertrauen und Akzeptanz zu verlieren – mit gravierenden Folgen für Piloten, Verbände und letztlich die Zukunft der Luftfahrt im Land.
Source references:
AOPA