Ein neues Kapitel in der Luftfahrttechnik
Flugreisen gehören zu den sichersten, aber oft nicht zu den angenehmsten Fortbewegungsarten – vor allem, wenn Turbulenzen das Flugzeug durchrütteln. Besonders für unerfahrene Passagiere sind solche Erschütterungen unangenehm und können sogar zu Flugangst führen. Ein kleines Unternehmen aus Österreich könnte dieses Problem bald lösen: Turbulence Solutions steht kurz vor der Zulassung eines Systems, das Turbulenzen gezielt ausgleicht – mithilfe modifizierter Landeklappen, Sensoren und intelligenter Rechenleistung.
Von der Universitätsidee zur marktreifen Innovation
Die Geschichte beginnt 2017 an der Technischen Universität Wien, wo eine Gruppe Studierender zusammen mit ihrem Professor an aerodynamischen Effekten und Turbulenzforschung arbeitet. Aus dem Projekt entsteht die Idee, ein System zu entwickeln, das nicht nur Turbulenzen misst, sondern aktiv darauf reagiert. Das Ergebnis: die Gründung von Turbulence Solutions – einem Unternehmen, das sich auf adaptive Flugzeugsysteme zur Kompensation von Luftunregelmäßigkeiten spezialisiert.
So funktioniert das System im Detail
Das Herzstück der Technologie ist eine speziell entwickelte Landeklappe, die aus zwei beweglich miteinander verbundenen Segmenten besteht. Anders als herkömmliche Klappen, die in einem Stück ausgefahren werden, kann diese Variante mithilfe von Servomotoren unterschiedlich angesteuert werden – und so gezielt auf Luftstöße reagieren.
Gesteuert wird das System durch ein Paar Sensorlanzen, die aus Carbon gefertigt unter den Tragflächen angebracht sind. Diese Sensoren erfassen Windrichtung und -stärke in Echtzeit, noch bevor die Turbulenz das Flugzeug erreicht. Die Daten werden von einem kleinen Bordcomputer verarbeitet, der dann exakt berechnete Korrekturbewegungen an die Servomotoren sendet. Diese bewegen die Landeklappen so, dass sie der Turbulenz entgegenwirken – vergleichbar mit einem aktiven Stoßdämpfer.
Das Ergebnis: Die Bewegungen des Flugzeugs werden deutlich reduziert. Zwar lassen sich starke Turbulenzen nicht vollständig eliminieren, doch ein Großteil des unangenehmen Ruckelns wird effektiv abgeschwächt.
Sicherheitsmechanismen und Einschränkungen
Das System lässt sich vom Piloten über einen Schalter im Cockpit aktivieren oder deaktivieren. Aus Sicherheitsgründen greift die Technik jedoch nur in bestimmten Flugzuständen ein. Ist das Flugzeug zu langsam oder zu schnell unterwegs, oder befindet es sich in starker Schräglage, wird das System automatisch deaktiviert. Auch während des Starts und der Landung bleibt es außer Betrieb.
Erprobung und Markteinführung: Der Weg zur Zulassung
Der erste erfolgreiche Testflug fand im Jahr 2021 mit einer Colomban MC-30 Luciole statt. Seitdem wurde das System für weitere Flugzeugtypen angepasst – unter anderem für das UL-Modell Shark.Aero Shark, das 2024 erstmals mit dem System flog. Derzeit läuft die Zulassungsphase in Österreich, die laut Angaben des Unternehmens Mitte Mai 2025 abgeschlossen sein soll.
Bereits zwölf Kunden haben das System bestellt – die Wartezeit liegt aktuell bei rund zwei Jahren. Der Preis für das System beträgt rund 32.000 Euro, entweder als Upgrade beim Neuflugzeug oder zur Nachrüstung inklusive Einbau. Eine vollständig ausgestattete Shark inklusive System kostet derzeit etwa 350.000 Euro.
Zukunftspläne: Vom Ultraleicht bis zum Großraumjet
Turbulence Solutions plant bereits weiter. Das Unternehmen befindet sich in Gesprächen mit mehreren UL-Herstellern zur Systemintegration in anderen Mustern und will in naher Zukunft auch Flugzeuge der E- und F-Klasse ausstatten. Langfristig, so das ambitionierte Ziel, soll die Technologie bis 2030 auch in Verkehrsflugzeugen eingesetzt werden.
Technisch wäre das durchaus möglich: Die zugrunde liegenden Prinzipien sind skalierbar, und die Avionik moderner Jets bietet bereits Schnittstellen, über die eine Integration erfolgen könnte. Noch steht der regulatorische Rahmen allerdings einer raschen Umsetzung im Weg – insbesondere in Bezug auf Zulassungsverfahren und Systemzertifizierung bei der EASA oder der FAA.
Fazit: Ein potenzieller Gamechanger für den Luftverkehr
Mit der bevorstehenden Zulassung könnte Turbulence Solutions eine neue Ära des Reisekomforts einläuten. Die Technologie ist ein Paradebeispiel dafür, wie Innovation aus akademischer Forschung und praxisnaher Umsetzung zu einem marktfähigen Produkt werden kann. Sollte sich das System im Alltag bewähren, könnten Turbulenzen – bisher eine unvermeidbare Begleiterscheinung des Fliegens – bald der Vergangenheit angehören.
Quellverweise:
Fliegermagazin