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Verbleibendes Avgas 100LL bleibt in Europa bis 2032 zulässig – REACH-Komitee schafft Klarheit für die General Aviation

Zuletzt aktualisiert am 20. Juli 2025
Die lang diskutierte Zukunft des verbleiten Flugbenzins Avgas 100LL in Europa hat einen entscheidenden Wendepunkt erreicht. Noch vor wenigen Monaten war unklar, ob das Kraftstoffprodukt mit dem umstrittenen Zusatzstoff Tetraethylblei (TEL) über den 1. Mai 2025 hinaus überhaupt noch hergestellt oder verwendet werden darf. Jetzt steht fest: Die Versorgung mit 100LL ist in Europa vorerst bis April 2032 gesichert – zumindest für Produkte von Shell.

Die Entscheidung: Zulassung durch das EU-REACH-Komitee

Am 26. Juni 2025 hat das sogenannte REACH-Komitee der Europäischen Kommission dem Antrag von Shell auf weitere Herstellung und Nutzung von Avgas 100LL zugestimmt. Das Ergebnis: 26 Ja-Stimmen, eine Enthaltung, keine Gegenstimme. Damit ist der Shell-Antrag politisch und rechtlich abgesichert. Die Entscheidung wurde im Rahmen der EU-Verordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) gefällt – einem Instrumentarium zur Bewertung und Regulierung von Chemikalien in der Europäischen Union, das von der European Chemicals Agency (ECHA) in Helsinki verwaltet wird.

Die Genehmigung erlaubt es Shell, Avgas 100LL mit TEL bis April 2032 weiter zu produzieren und zu vertreiben, sofern die EU bis dahin keine anderen Umweltvorgaben erlässt oder geeignete bleifreie Alternativen breit verfügbar sind.


Was bedeutet das für Flugzeughalter und Piloten?

Diese Entscheidung ist für die allgemeine Luftfahrt in Europa von großer Bedeutung. Viele Kolbenflugmotoren – insbesondere leistungsstarke Modelle wie der Lycoming IO-540 oder Continental TSIO-520 – benötigen ein Kraftstoffgemisch mit hoher Klopffestigkeit, wie sie nur durch den Bleizusatz TEL erreichbar ist. Ohne eine gesicherte 100LL-Versorgung hätten viele Betreiber teurer Flugzeuge entweder umrüsten oder den Flugbetrieb einstellen müssen.

Mit der neuen Regelung herrscht nun Planungssicherheit:
Keine Versorgungsunsicherheit bis mindestens 2032
Keine Notwendigkeit für kurzfristige technische Modifikationen
Kein flächendeckendes Grounding wegen Treibstoffmangels


Was ist mit den anderen Herstellern?

Neben Shell haben auch die beiden anderen bedeutenden Anbieter in Europa – WARTER Fuels (Polen) und TRAFIGURA / Puma Energy – Zulassungsanträge für die Herstellung von TEL-haltigem Avgas gestellt. Diese wurden am selben Tag wie der Shell-Antrag im REACH-Komitee vorgestellt, befinden sich aber noch im Abstimmungsprozess. Aufgrund der inhaltlichen Ähnlichkeit der Anträge wird jedoch nicht erwartet, dass sie abgelehnt werden.


Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Die Einigung ist das Ergebnis einer jahrelangen, gut koordinierten Lobby- und Aufklärungsarbeit mehrerer europäischer Luftfahrtverbände. Zu den federführenden Akteuren gehörten:

  • Europe Air Sports
  • ERAC (European Regional Aerodromes Conference)
  • GAMA (General Aviation Manufacturers Association)
  • IAOPA-Europe (International Council of Aircraft Owner and Pilot Associations)

Diese Verbände haben gemeinsam Dossiers, Stellungnahmen und wissenschaftliche Bewertungen erstellt und in die politische Entscheidungsfindung eingebracht. Ihr Ziel: Einen realistischen Übergangszeitraum für die Ablösung von bleihaltigem Flugbenzin zu schaffen, ohne die Betriebssicherheit von Bestandsflugzeugen zu gefährden.

Besonders betont wurde:

  • Dass ein unkoordinierter europäischer Alleingang bei der Verbotsregelung nicht zielführend wäre
  • Dass der weltweit letzte Hersteller von TEL in Großbritannien weiterhin lieferfähig ist
  • Dass die BLEI-Mengen im Avgas in Europa gering und die Umweltwirkungen lokal begrenzt sind
  • Dass es Zeit braucht, bis unverbleites Hochoktan-Avgas wie G100UL in der Praxis verfügbar, getestet und zertifiziert ist

Was passiert in den USA?

In den Vereinigten Staaten arbeitet General Aviation Modifications Inc. (GAMI) seit Jahren an einer bleifreien Alternative namens G100UL (Unleaded 100 Octane Aviation Fuel). Die FAA hat den Treibstoff bereits zertifiziert, der Rollout erfolgt jedoch langsam. Aktuell ist die Verfügbarkeit auf wenige Flugplätze beschränkt, zudem fehlt noch eine breite Freigabe durch Motorenhersteller wie Lycoming und Continental.

Die europäische Luftfahrtindustrie beobachtet diese Entwicklung genau. Ein baldiger Durchbruch bei der US-weiten Einführung könnte auch in Europa die Zulassung und Verbreitung bleifreier Alternativen beschleunigen.


Was bedeutet das langfristig?

Die aktuelle Entscheidung ist ein Aufschub, kein Freibrief. Die politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen signalisieren klar, dass die Zukunft des Flugtreibstoffs bleifrei sein wird. Die europäische Luftfahrt hat damit nun einen realistischen Zeitrahmen, um:

  • alternative Kraftstoffe zu entwickeln und zu zertifizieren
  • Bestandsflotten schrittweise umzurüsten oder freizugeben
  • die Infrastruktur für den Vertrieb bleifreier Avgas-Varianten aufzubauen

Fazit

Die REACH-Zulassung von Shells Avgas 100LL bis 2032 bringt dringend benötigte Klarheit und Sicherheit für die Betreiber von Flugzeugen mit leistungsstarken Kolbenmotoren. Sie ermöglicht einen kontrollierten, nicht überhasteten Übergang zu bleifreien Kraftstoffen – mit Augenmaß und in Abstimmung mit den Entwicklungen in den USA.

Gleichzeitig zeigt die Entscheidung, dass engagierte, sachliche Verbandsarbeit auch in einem hochkomplexen EU-Regelungssystem Wirkung entfalten kann. Die kommenden Jahre sollten nun intensiv genutzt werden, um die bleifreie Zukunft der General Aviation auch technologisch und praktisch umzusetzen.


Quellverweise:
AOPA

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