Winterfliegen zwischen Risiko und Faszination
Fliegen im Winter erfordert mehr Vorbereitung als in den Sommermonaten. Viele Faktoren, die bei warmem Wetter kaum eine Rolle spielen, können jetzt sicherheitsrelevant werden. Schnee, Eis, Reif und niedrige Temperaturen beeinflussen Aerodynamik, Triebwerk, Instrumente und Bodenbetrieb. Dem zusätzlichen Aufwand steht jedoch ein besonderer Reiz gegenüber: ruhige Luft durch fehlende Thermik, exzellente Steigleistung dank hoher Luftdichte und spektakuläre Ausblicke auf verschneite Landschaften.
Entscheidend ist, die wintertypischen Risiken realistisch einzuschätzen und konsequent in die Planung und Durchführung eines Flugs einzubeziehen.
Wetteranalyse im Winter: Kleine Unterschiede mit großer Wirkung
Die Wetterbeurteilung folgt im Grundsatz den gleichen Prinzipien wie im Sommer, hat im Winter jedoch eine andere Gewichtung. Niederschläge, die bei positiven Temperaturen harmlos erscheinen, können in der kalten Jahreszeit schnell flugentscheidend werden. Schneeschauer können die Sicht abrupt reduzieren und Sichtflugbedingungen innerhalb weniger Minuten unbrauchbar machen.
Besonders kritisch ist unterkühlter Regen. Große Tropfen aus wolken mit Temperaturen um den Gefrierpunkt können beim Auftreffen auf die Flugzeugoberfläche schlagartig gefrieren und Klareis bilden. Diese Eisart ist besonders gefährlich, da sie schwer erkennbar ist, sich schnell aufbaut und die Aerodynamik massiv verschlechtert. Widerstand nimmt zu, Auftrieb sinkt, die Mindestgeschwindigkeit steigt.
Auch Raueis aus unterkühlten Wassertröpfchen in Schichtwolken stellt ein erhebliches Risiko dar. Es bildet sich bevorzugt an den Profilnasen von Tragflächen und Leitwerken und kann nicht nur den Auftrieb verringern, sondern auch das Steuerverhalten verändern.
Konsequenzen für Flugplanung und Reichweite
Je mehr wetterbedingte Unsicherheiten bestehen, desto wichtiger werden Alternativen. Ausweichflugplätze sollten sorgfältig gewählt und realistisch erreichbar sein. Kraftstoffreserven gewinnen im Winter zusätzlich an Bedeutung, ebenso die verfügbare Tageslichtdauer, die deutlich kürzer ist als im Sommer.
Planung mit knappen Margen rächt sich in der kalten Jahreszeit schneller. Ein geplanter Flug, der aufgrund von Wetterumgehungen länger dauert, kann sonst ungewollt in die Dämmerung oder Dunkelheit führen.
Notfallvorsorge: Vorbereitung für den Ernstfall
Ein Winterflug sollte immer auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Außenlandung betrachtet werden. Kälte, Schnee und Nässe stellen für Mensch und Material ein ernstzunehmendes Risiko dar. Entsprechende Notfallausrüstung gehört an Bord, darunter warme Kleidung, Handschuhe, Mütze und gegebenenfalls einfache Hilfsmittel zur Wärmeerhaltung.
Die Entscheidung, was mitgenommen wird, sollte sich nicht an der Leistungsfähigkeit der Kabinenheizung orientieren, sondern an dem, was außerhalb des Flugzeugs notwendig wäre.
Bodenbetrieb und Flugzeugvorbereitung
Im Winter ist vor dem Start deutlich mehr Zeit einzuplanen, insbesondere bei im Freien abgestellten Flugzeugen. Schnee, Eis und Reif müssen vollständig von der Außenhaut entfernt werden. Selbst dünner Reif auf Tragflächen oder Leitwerk wirkt wie Schleifpapier auf die Strömung, reduziert den Auftrieb, erhöht die Stallgeschwindigkeit und verschlechtert das gesamte Flugverhalten.
Ein Flugzeug ist aerodynamisch auf eine saubere Oberfläche angewiesen. Anders als bei einem Auto ist nicht nur ein einzelner Kontaktpunkt relevant, sondern die gesamte umströmte Struktur. Auftrieb, Widerstand, Stabilität und Steuerbarkeit hängen unmittelbar davon ab.
Richtiges Entfernen von Schnee und Eis
Für die Reinigung eignen sich weiche Handbesen, Bürsten oder Textiltücher. Eisschaber können den Lack und insbesondere die Verglasung beschädigen. An Fensterflächen ist besondere Vorsicht geboten, da Kratzer Sicht und strukturelle Festigkeit beeinträchtigen können.
Bewährt hat sich der Einsatz von TKS-Flüssigkeit aus einer Sprühflasche. Auto-Enteisungsmittel sollten vermieden werden, da sie Materialien angreifen können. Bei der Reinigung ist darauf zu achten, Schnee und Eis von Ruder- und Klappenspalten wegzuwischen, um ein Eindringen und anschließendes Festfrieren zu verhindern. Staurohr und statische Öffnungen müssen sorgfältig überprüft und vollständig frei sein.
Ein beheizter Hangar oder zumindest Sonneneinstrahlung erleichtern die Arbeit erheblich, erfordern jedoch Zeit und Planung.
Startvorbereitung bei Minusgraden
Kalte Temperaturen wirken sich direkt auf Triebwerk und Batterie aus. Zähes Motoröl erhöht den Anlasswiderstand, schwache Batterien erschweren den Start. Spätestens bei Temperaturen unter etwa minus sechs Grad empfiehlt sich das Vorheizen des Motors. Warmluftgebläse, die über Schläuche in die Cowling geführt werden, reduzieren die Belastung des Triebwerks erheblich.
Batterien sollten bei längeren Standzeiten ausgebaut, frostfrei gelagert und regelmäßig geladen werden. Eine externe Starthilfe kann zwar das Anlassen ermöglichen, garantiert aber nicht, dass alle elektrischen Systeme ausreichend versorgt werden, um den Generatorbetrieb sicher aufzunehmen.
Vergaserbrand und Kaltstart-Risiken
Mehrere erfolglose Anlassversuche mit übermäßiger Kraftstoffzufuhr können zu Vergaserbränden führen. Typische Anzeichen sind verdampfende Ölreste oder Rauch im Motorraum. In diesem Fall ist unverzüglich der Gemischhebel zu ziehen und der Anlasser weiter zu betätigen, um die Flammen in den Motor zu saugen, wo ihnen der Sauerstoff fehlt.
Solche Szenarien unterstreichen, wie wichtig saubere Startverfahren und Geduld beim Kaltstart sind.
Rollen und Start auf glatten Pisten
Der Weg zur Startbahn sollte langsam und ohne unnötigen Bremseinsatz erfolgen. Bremsen können auf Schnee oder Eis ein Blockieren der Räder und unkontrolliertes Rutschen verursachen. Besonders bei Tiefdeckern ist Vorsicht geboten, da Schneeverwehungen oder von Räumfahrzeugen aufgeschobene Schneeberge unter den Flügeln zum Problem werden können.
Auf der Startbahn ist möglichst eine Spur zu wählen, auf der beide Hauptfahrwerke den gleichen Untergrund haben. Unterschiedliche Reibwerte, etwa zwischen Schnee, Eis und freiem Asphalt, können zu Giermomenten und Ausbruchtendenzen führen. Sanfter Leistungsaufbau hilft, die Richtung kontrolliert zu halten.
Verlängerte Startstrecken realistisch einplanen
Schnee, Matsch oder stehendes Wasser verlängern die Startstrecke teils erheblich. Wenn das Flughandbuch keine spezifischen Werte nennt, sollten konservative Zuschläge einkalkuliert werden. Je nach Art und Beschaffenheit des Untergrunds können 25 bis 50 Prozent zusätzliche Strecke realistisch sein. Entsprechend verschiebt sich auch der Punkt, an dem ein Startabbruch zwingend eingeleitet werden muss.
Flugzeuge mit Einziehfahrwerk sollten nach dem Abheben das Fahrwerk zunächst ausgefahren lassen, damit anhaftender Schnee oder Eis abgeschleudert werden kann. Eis im Fahrwerksschacht kann Sensoren blockieren und zu Fehlanzeigen führen.
Vereisung im Flug und der Vergaser als Schwachstelle
Im Winter meiden selbst IFR-Piloten Gebiete mit sichtbarer Feuchtigkeit bei negativen Temperaturen, wenn dies möglich ist. Für VFR-Flüge gilt dies umso mehr. Vereisung lässt sich oft indirekt erkennen, etwa an Streben, Antennen oder Außentemperatursensoren, wenn die Tragflächen selbst nicht einsehbar sind.
Noch vor einer strukturellen Vereisung kann jedoch der Motor beeinträchtigt werden. Vergaservereisung tritt in feuchter Luft bereits bei überraschend hohen Temperaturen auf. Unruhiger Lauf, Drehzahlverlust oder sinkender Ladedruck sind Warnzeichen, die sofortiges Ziehen der Vergaservorwärmung erfordern. Vorbeugende Aktivierung in regelmäßigen Abständen kann helfen, Eisbildung frühzeitig zu erkennen.
Fazit: Winterfliegen verlangt Disziplin und Wissen
Fliegen im Winter ist keine Frage von Mut, sondern von Vorbereitung, Technikverständnis und realistischer Entscheidungsfindung. Wer die besonderen Risiken kennt, ihnen mit ausreichend Zeit, Reserve und Respekt begegnet und bereit ist, Flüge konsequent abzubrechen oder zu verschieben, wird auch in der kalten Jahreszeit sicher unterwegs sein.
Der Winter belohnt jene Pilotinnen und Piloten, die ihn ernst nehmen – mit ruhiger Luft, herausragender Performance und einzigartigen Eindrücken aus dem Cockpit.
Quellverweise:
Fliegermagazin
